Neben den Einschränkungen, die ich – wie die meisten – bereitwillig befolgt habe und weiterhin befolge, und all dem Schrecken ist in mir die Hoffnung gewachsen – auf ein anderes, (noch) besseres Leben nach dieser weltweiten Krise. Ein neuer Geist, ein neues Gemeinschafts- und Verantwortungsgefühl ist über uns gekommen, wie ich aus zahllosen Gesprächen mit meiner russischen Lebensgefährtin, meinen drei erwachsenen Kindern, Nachbarn, Freunden und Kollegen weiß und spüre. Ein Pfingstwunder, wenn man so will.
Doch gleichzeitig hat uns alle, egal in welchem Alter, dieser tiefe Einschnitt mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert, die wir sonst gerne verdrängen. Jeden, auch mich kann das Virus weiterhin treffen, trotz aller Schutzmaßnahmen. Mich bewegt das Thema Tod und Sterben in diesen Tagen auf besondere Weise. Denn vor 25 Jahren, in der Nacht vom 31. Mai auf den 1. Juni 1995, hat sich mein Bruder Robert, der mir so nahe stand wie kaum jemand, das Leben genommen; und mir damit ein Stück auch meines Lebens. Der Trost, den ich gefunden habe: Er ist in irgendeiner Weise immer bei mir. So wie Jesus seinen Jüngern gesagt hat: „Seid nicht traurig. Ich gehe fort von Euch. Aber ich bin bei Euch, wenn ihr an mich denkt und mir und dem Heiligen Geist folgt, den ich Euch sende.“
»Wenn wir denen beistehen, die Hilfe brauchen und ein tröstendes
Wort sprechen, wenn sie verzweifeln, muss uns nicht bange werden.«
Vor kurzem habe ich aus dieser Betroffenheit heraus ein langes Gespräch mit den Leiterinnen des Hamburger Hospizes Leuchtfeuer und des Leuchtfeuer Lotsenhauses in Altona darüber geführt, wie die Pandemie auch ihre Arbeit verändert hat. Auch sie spüren eine große Verunsicherung bei den Begegnungen mit den Sterbenden und Trauernden, sagten sie mir. Und wie wichtig und schwierig es ist, gerade jetzt Abschied nehmen zu können, wenn Besuche am Sterbebett verboten oder eingeschränkt sind und selbst zu den Beisetzungen nur wenige enge Angehörige kommen durften.
„Sterben mitten im Leben“, lautet der Leitspruch des Hospiz‘ auf St. Pauli. Das passe auch zu Corona, sagte die Leiterin: „Massenhaftes stilles Leiden und Sterben inmitten unseres sonst oft ruhelosen Leben, wo wir ständig mit allem Möglichen beschäftigt sind und nun plötzlich vor existenziellen Fragen standen und stehen.“ Und noch ein Satz von ihr hat sich mir eingeprägt: Sterben ist ein Teil des Lebens, wie die Geburt. Unser ganzes Leben steuern wir auf den Tod zu. Aber er ist nicht das Ende. Sie verglich die Menschen mit einem Teelicht: Wenn jemand stirbt, erlischt das Licht, aber das Äußere ist noch da. Das innere Licht ist nur weitergegangen.
Wenn wir diese Lichter bewahren und auf den Geist hören, den uns Gott gesandt hat; wenn wir weiterhin zusammenhalten und aufeinander und auf uns selbst acht geben; wenn wir denen beistehen, die Hilfe brauchen und ein tröstendes Wort sprechen, wenn sie verzweifeln, muss uns nicht bange werden. Auch nicht vor dem Tod und dem Sterben. Was auch immer uns bedroht, was auch immer geschieht, tiefer als in Gottes Hand und seinen Geist können wir nicht fallen.
Diese Gedanken habe ich an Pfingstmontag im Gottesdienst in meiner Gemeinde vortragen dürfen, im Gedenken an meinen Bruder und all die, die durch die Pandemie ihr Leben verloren haben und noch verlieren werden.
Ludwig Greven, Hamburg