Was mir in der Corona-Krise Gutes begegnet ist:
1. Dass viele Dinge ausfallen (Konferenzen, Treffen, eigene Projekte wie Reisen und Magazine) hat auch sein Gutes. Ich habe vieles als Erleichterung empfunden. Auch wenn alle diese verschobenen Aktionen gewollt und sinnvoll sind: Wir machen zuviel.
2. Die Entdeckung des Einfachen. Paradebeispiel ist der Fronleichnamsgottesdienst. Die Schlichtheit der Feier war nicht nur wohltuend anders, sondern entspricht dem Festinhalt viel mehr als die traditionsgemäß pompösen und überlangen Feiern. Ein so schlichtes „Format“ wie das Mittagsgebet „Fünf nach Zwölf“ (täglich live auf dem You-Tube-Kanal beziehungsweise dem Facebook-Kanal des Erzbistums Hamburg) hätten wir uns vor Corona gar nicht getraut anzubieten. Es ist auch ein Perspektivwechsel. Wir bemessen den Wert fast jeder Aktion nach ihrer Größe. Großer Aufwand und viele Menschen bei einer Wallfahrt, einem Bibelabend oder in einem Gottesdienst heißt: Es gibt eine große Nachfrage, die Sache ist erfolgreich. Wenige Menschen bedeutet: Das will keiner haben, es ist eine Pleite, man lässt es folglich sein. Oder legt man andere Kriterien an? Es gibt auch in der Musik nicht nur das Wagner-Orchester, es gibt auch das Streichquartett und die Partiten für Violine solo.
»Die Nähe zwischen Menschen ist durch nichts zu ersetzen.
1,5 Meter Abstand ist zu viel für nahezu jede Begegnung.
Das merke ich jetzt, wo ich diese Begegnung vermisse.«
3. Die Nähe zwischen Menschen ist durch nichts zu ersetzen. 1,5 Meter Abstand ist zu viel für nahezu jede Begegnung. Das merke ich jetzt, wo ich diese Begegnung vermisse. Aber wir wussten es auch schon vorher. Warum kommen Erstkommunion- und Firmgruppen (trotz quantitativer Rückgänge) immer noch so gut an? Weil man dort in Kontakt mit anderen Menschen kommt.
4. Der Mut, Bedenken wegzuschieben auch mal etwas anders zu machen. Pfingsten habe ich in meiner Kirche einen Gottesdienst erlebt, der von zwei Frauen und dem Musiker geleitet wurde. Die Wort-Gottes-Feier war sehr schön und eindrucksvoll, ich habe selten etwas Ähnliches in unserer Kirche erlebt. Wir haben als ehrenamtliche Liturgen gute Leute, die gut ausgebildet sind. Es muss nicht – wie sonst immer bei Personalmangel – ein polnischer Priester oder ein Ruheständler eingeflogen werden, zur Qual der Gemeinde. Die Sorge, dass die Gläubigen die herausragende Stellung der Eucharistie abstreiten könnten, halte ich für unbegründet. Unter den Leuten, die sonntags da sind, gibt es keinen, der nicht um den Wert der Eucharistiefeier weiß. Und wenn der Wortgottesdienst am Ende die Gläubigen mehr anspricht als die Messe, sollte man nicht Konkurrenz und Glaubensabfall wittern, sondern sich zuerst die Frage stellen: Warum ist das so? Liegt es vielleicht an der Gestaltung der Messe?
5. Die De-Digitalisierung. Bekannte und Freunde haben mir in den vergangenen Wochen Briefe geschrieben. Mit Tinte auf Papier. Was mich dazu gezwungen hat, ebenfalls handschriftlich zurückzuschreiben. Ich musste erst einmal Briefpapier, Füller und Briefmarken kaufen. Das Schreiben dauert viel länger als per Email oder auf Facebook. Ich finde nur schwer Zeit und Ruhe, einen solchen Brief zu schreiben. Aber diese Zeit gehört dann ganz den Adressaten.
Ich schätze digitale Hilfen, beruflich sowieso, aber auch im Glaubensleben. Aber für mich ist Kirche und Glaube im Kern ein analoges Ereignis. Es erfordert Präsenz und lebt in jeder Hinsicht von der Begegnung „im Fleische“. Jüngere Menschen sehen das sicherlich anders und haben auch dafür Gründe.
6. Auch wenn man in Krisen lernen kann und sicherlich auch Gutes bleibt – ich freue mich, wenn das alles vorbei ist.
Andreas Hüser, Börnsen